Unschuldig im Gefängnis. Quo vadis, Generalbundesanwalt?

Spätestens seit gestern ist es klar: Mahmoud B., der als IS-Terrorist angeklagte junge Jordanier, saß 13 Monate unschuldig in Untersuchungshaft. Auf Antrag des Generalbundesanwalts.

Der Reihe nach.

Anfang Juni 2016 wurden in Deutschland zwei junge Männer verhaftet, denen der Vorwurf der Vorbereitung eines schweren Bombenanschlags in der Altstadt von Düsseldorf gemacht worden war. Die Rede war von zehn Selbstmordattentätern, dieim Auftrag des Islamischen Staats in Raqqa ein Blutbad anrichten sollten. Ein schwerbewaffnetes Sondereinsatzkommando der Polizei nahm meinen Mandanten fest und führte ihn dem zuständigen Ermittlungsrichter beim Bundesgerichtshof vor, der daraufhin dem Antrag des Generalbundesanwalts folgte und Haftbefehl erließ.

Alleine die erste Lektüre der Begründung des Haftbefehls ließ erahnen, daß der Generalbundesanwalt große Mühe haben würde, die angeblichen Anschlagspläne beweisen zu können. Keinerlei objektive Beweismittel waren zur Untermauerung der Vorwürfe benannt, obwohl die Sicherheitsbehörden bereits Monate zuvor das gesamte Repertoire verdeckter Ermittlungsmaßnahmen aufboten, um die Terrorgruppe zu überführen. Das Ergebnis? Keine verdächtigen Telefonate. Keine konspirativen Treffen der Beteiligten. Keine verdächtigen Internetaktivitäten. Keine Hinweise auf radikalislamische Gesinnung. Keine Vorstrafen. Nichts!

Ein dringender Tatverdacht wurde dennoch bejaht. Aufgrund der zweifelhaften Aussage einer einzigen Person, die sich in Paris der Polizei stellte und von sich behauptete, er sei der Kopf einer Terrorzelle, die in Düsseldorf einen Anschlag geplant habe. In mehreren Aussagen verstrickte sich der ebenfalls angeklagte Saleh A. immer wieder in Widersprüche. Dem Generalbundesanwalt war das egal. Er teilte auch gleich mit, daß er mit Dankbarkeit und Vergünstigungen für seine Offenbarungen rechnete – ein mögliches Motiv einer Falschbelastung. Dem Generalbundesanwalt war das egal. Saleh A. teilte mit, er habe Mahmoud B. durch die Gabe von Marihuana einer Gehirnwäsche unterzogen und ihm so die wahrheit über den Propheten erzählt, eine geradezu groteske Geschichte. Dem Generalbundesanwalt war das egal.

Wie sich nach Beginn der Hauptverhandlung vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf herausstellte, handelte es sich nur um die Phantastereien eines Lügenbarons, der offen zugab, seine Freunde – darunter Mahmoud B. – falsch belastet zu haben. Auch nachdem er erfahren hatte, daß sich zwei Personen unschuldig in Untersuchungshaft befänden, klärte er die Behörden nicht auf und belastete seine Freunde weiter. Er teilte vor Gericht mit, daß er mit der Aufklärung bis zur öffentlichen Hauptverhandlung warten wollte. Ein Grund kann nur vermutet werden. Womöglich liebt er den großen, dramatischen Auftritt.

Der Generalbundesanwalt gab sich damals alle Mühe, die Angaben des Lügners als glaubhaft zu werten. Eine himmelschreiende Fehleinschätzung, wie sich nun herausstellte. Man war der Auffassung, daß die Angaben nachprüfbar und belastbar waren. Und das waren sie zu keinem Zeitpunkt.

Mahmoud B. wurden dreizehn Monate seines Lebens gestohlen. Und die Sicherheitsbehörden ließen ihn gewähren. Der Vertreter des Generalbundesanwalts im Prozeß erklärte, daß Mahmoud B. sich hätte äußern können zu den Vorwürfen, um das Lügenkonstrukt zum Einsturz zu bringen. In Kenntnis der Praxis der Justiz war klar, daß eine solche Verteidigungsstrategie nicht erfolgreich gewesen wäre. Das Gegenteil einer Lüge ist nur in Ausnahmefällen beweisbar.

Dieses Verfahren ist ein Debakel für den Generalbundesanwalt. Wer auf ein Zeichen des Mitgefühls in Richtung Mahmoud B. wartete, wurde enttäuscht. Keine Entschuldigung. Nichts. Es bleibt neben dem bitteren Geschmack nur die Hoffnung, daß sich die Sicherheitsbehörden zukünftig selbst öfter hinterfragen, ob man immer richtig liegt. In der Brauerstraße in Karlsruhe sieht man sich selbst offenbar als unfehlbar. Eine Arroganz, die das Leben von Unschuldigen zerstören oder jedenfalls beeinträchtigen kann.

Mahmoud B. wurde gestern freigesprochen und vom Strafsenat rehabilitiert. Ein vom Vorsitzenden geäußertes Zeichen des Mitgefühls wurde dankend zur Kenntnis genommen.