Die Russenmafia hat ihr Unterdrückungssystem auch im Offenburger Gefängnis etabliert. Wer nicht spurt, wird bedroht und misshandelt, und wer nicht schweigt, muss um sein Leben fürchten.
Das macht der Fall eines 29 Jahre alten Russlanddeutschen deutlich, der 2009 in seiner Zelle von drei Mithäftlingen brutal zusammengeschlagen wurde und um ein Haar gestorben wäre. Weil er fest behauptet, die Verletzungen bei einem Sturz aus dem Bett erlitten zu haben, steht er seit Mittwoch wegen versuchter Strafvereitelung selbst vor Gericht – und schweigt.
“Abtschak” heißt der Überbegriff für das System mafiaähnlicher Strukturen, mit dem unter Russlanddeutschen eine klaren Hierarchie am Leben gehalten wird. Zentrales Element ist eine außerhalb des Knasts geführte schwarze Kasse, in die die Gefangenen einzahlen müssen. Was einst eine Gemeinschaftskasse für sozial Schwächere war, dient heute durch Schutzgelderpressung etwa der Finanzierung von Drogengeschäften. Die Kommunikation untereinander und nach draußen funktioniert, ganz oben steht das Schweigegebot. Wer es bricht, muss mit harten Konsequenzen rechnen.
Mit welchen, das entscheidet der “Chef der Russen”, wie ein als Zeuge geladener 33-jähriger Insider das Oberhaupt nannte. Der 33-Jährige wurde selbst bedroht, weil er nicht bezahlen konnte und will nun aussteigen. Wer Chef im Knast wird, das ergebe sich mit der Zeit ganz von allein: “Er hat das letze Wort.” Das System ist in deutschen Gefängnissen nicht neu: “Es ist ein massives Sicherheitsproblem, aber es lässt sich nicht ganz in den Griff kriegen”, räumte eine Angehörige der Offenburger Anstaltsleitung ein. Die groben Strukturen seien zwar bekannt: “Aber Details kennen wir nicht.”
Weil die Gefangenen nicht 24 Stunden unter Beobachtung stünden, sei es “durchaus möglich, dass Übergriffe vorkommen.” In der Regel gehe es dabei um Schlägereien, bis die Bediensteten eingreifen. Meist kämen die Opfer mit Prellungen, Blutergüssen oder auch einmal einem Nasenbeinbruch davon. Dass es, wie im verhandelten Fall gar einen Tötungsauftrag gegeben haben soll, sei indes sehr außergewöhnlich.
Diesen mutmaßlichen Tötungsauftrag hatte der “Chef der Russen” offenbar beim Hofgang an drei russlanddeutsche Mitinsassen erteilt, die auf demselben Stockwerk wie ihr Opfer einsaßen. Der 29-jährige, der 1992 als Zehnjähriger mit seinen Eltern aus Kasachstan eingewandert war und inzwischen die deutsche Staatsbürgerschaft hat, musste eine kurze Haftstrafe verbüßen, weil er eine angeordnete Geldstrafe nicht bezahlen konnte. Dass das Schlägertrio auf ihn angesetzt wurde, soll bisherigen Erkenntnissen nach zwei Ursachen haben: Zum einen soll der 29-Jährige einen vierstelligen Geldbetrag, der für den “Chef” bestimmt war, selbst verbraucht haben – möglicherweise für seine damalige Drogensucht. Zum anderen habe er, wie es vor Gericht hieß, seine Mutter “schlecht behandelt” .
Am Abend des 26. August 2009 wurde abgerechnet. Wie ein damaliger Mitinsasse des Opfers berichtete, wurden die Zellentüren zum Flur hin um 19 Uhr für die sogenannte Freizeit aufgeschlossen. Er selbst, so der 47-jährige Zeuge, verließ die nur von ihm und dem 29-Jährigen belegte Drei-Bett-Zelle. In der Freizeit können sich die Häftlinge innerhalb der Zellen jedes Flurs frei bewegen. Jedes Stockwerk ist unterteilt in zwei solcher Flure mit Wohngruppen zu je 20 Häftlingen. Dazwischen befindet sich ein Raum für das Wachpersonal, das allerdings nur eingreift, wenn es auf den Fluren offenkundig zu Reibereien kommt.
Das Trio, gegen das ein Verfahren vor dem Landgericht noch aussteht, betrat die Zelle des 29-Jährigen und richtete ihn übel zu. Staatsanwalt Friedrich Schütter nannte in der Anklage ein Schädel-Hirn-Trauma, Lendenbrüche, eine Milzruptur und eine Knieprellung. Ein Sachverständiger der Rechtsmedizin berichtete von “sehr vielen verschiedenen Verletzungen in verschiedenen Körperregionen”.
Am schlimmsten war der Milzriss, der dazu führte, dass der 29-Jährige mit zwei Litern Blut im Bauchraum in akuter Lebensgefahr schwebte und sich noch in derselben Nacht in der Josefsklinik zwei Notoperationen unterziehen musste.
Sein Zellengenosse hatte ihn in einer Blutlache gefunden: “Ich saß zusammengerechnet sechs Jahre in verschiedenen Gefängnissen, aber so etwas Fieses habe ich noch nicht gesehen.” Der beharrlichen Darstellung des Angeklagten, wonach er vom Doppelstockbett gefallen sei, dürfe nicht Glauben geschenkt werden: “Er hat halt Angst.” Auch der Rechtsmediziner stellte zweifelsfrei klar: “Die Vielzahl der Verletzungen ist keinesfalls mit einem einzigen Sturz zu erklären.”
“Es ist ein massives Sicherheitsproblem.”
Vertreterin der Anstaltsleitung:
Dass der 29-Jährige beharrlich schweigt, brachte ein Offenburger Kripobeamter und Kenner der Abtschak-Szene auf den Punkt: “Er muss mit Repressalien rechnen.” Auch der Zeuge, der als Insider auspackte und den Fall ins Rollen brachte, lebe sehr gefährlich: “Aber er weiß das.”
Während Amtsrichter Knopf das Verfahren gerne abgeschlossen hätte, pocht Verteidiger Daniel Sprafke auf ein Fortsetzung der Beweisaufnahme unter anderem durch die Vernehmung des Klinikpersonals. Er will offenkundig nachweisen, dass der 29-Jährige möglicherweise unter zeitweisem Gedächtnisverlust litt: “Dann würden wir etwas von ihm erwarten, was zu leisten er gar nicht in der Lage ist.” Der Ausgang des Verfahrens, das nun am 19. Oktober fortgesetzt wird, hat auch Auswirkungen auf einen Prozess gegen das brutale Schlägertrio.
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